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Genehmigung erteilt: Weltweit erstes Windenergietestfeld in bergigem Gelände nimmt die letzte große Hürde

Das ZSW Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg, Stuttgart, will mit der Errichtung des weltweit ersten Testfeldes in bergigem Gelände mit vollständigem Zugriff auf Anlagentechnik und -regelung Windenergieanlagen für den Einsatz in komplexen Topografien optimieren. Dieses auch international von Unternehmen und Forschungseinrichtungen stark unterstützte Vorhaben auf der Schwäbischen Alb zwischen Donzdorf und Geislingen hat jetzt eine entscheidende Hürde genommen: Anfang Juni 2020 wurde durch das Landratsamt Göppingen die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz erteilt. Das aufwändige Genehmigungsverfahren umfasste eine Prüfung aller relevanten Umweltbelange unter Einbeziehung der maßgeblichen Fachbehörden, der Regierungspräsidien Stuttgart und Freiburg, der betroffenen Kommunen und Naturschutzverbände.

Das ZSW errichtet das Testfeld im Rahmen des süddeutschen Windenergie-Forschungsclusters WindForS in Zusammenarbeit mit sechs Partnern – den Universitäten Stuttgart und Tübingen, der Technischen Universität München, dem KIT Karlsruher Institut für Technologie sowie den Hochschulen Aalen und Esslingen. Für die ökologische Begleitforschung wird das Team um weitere Partner ergänzt. Fördergelder in Höhe von 14,5 Mio. Euro kommen vom Bund und vom Land Baden-Württemberg.

Windenergieanlagen in bergigem Gelände besonders anspruchsvoll

Die weitaus meisten Windenergieanlagen weltweit stehen in relativ flachem Gelände, hierzulande vor allem in den Ebenen Nord- und Ostdeutschlands. Ambitionierter Klimaschutz erfordert jedoch eine deutlich stärkere Nutzung der Windenergiepotenziale, sodass künftig Windstrom auch in bergigem Gelände in relevanten Mengen erzeugt werden muss. Dort ist der Betrieb wesentlich anspruchsvoller: Ertragsprognosen sind aufgrund der turbulenten Strömungs- und Windverhältnisse über unregelmäßigen Topografien unsicherer, außerdem sind die mechanische Belastung der Windenergieanlagen und die Wartungskosten höher. Nicht zuletzt weil dies die Wirtschaftlichkeit der Windräder negativ beeinflusst, will das ZSW gemeinsam mit seinen Partnern auf dem Testgelände robustere Anlagen entwickeln, die gleichzeitig leiser, langlebiger und leistungsstärker sind und sich außerdem gut mit Energiespeichern koppeln lassen. Darüber hinaus werden im Rahmen einer ökologischen Begleitforschung Belange des Natur- und Artenschutzes intensiv untersucht und übertragbare Lösungskonzepte für Konflikte entwickelt, die an sehr vielen Windstandorten weltweit bestehen.

Idealer Standort mit Turbulenzen und Strömungen

Das Windenergietestfeld liegt am Rand des Stöttener Berges. Es handelt sich um eine unbewaldete Freifläche oberhalb einer Geländesteilstufe, dem Albtrauf. Die mittleren Jahreswindgeschwindigkeiten sind mit 5 m/sek. bis 6,5 m/sek. ausreichend hoch und weisen hohe Turbulenzen und wechselnde Schrägströmungen auf. Das Gelände passt nach Meinung von Projektleiter Andreas Rettenmeier sehr gut zu den Forschungsthemen, die auch international auf großes Interesse stoßen. Die Bedingungen dort sind typisch für Windenergiestandorte in bergigem, komplexem Gelände und ideal für die Entwicklung und Erprobung neuer Technologien ebenso wie für Konzepte zur Stärkung eines naturverträglichen Windenergieausbaus.

Messmasten und Windenergieanlagen mit Sensoren

Am Standort stehen bereits zwei 100 m hohe meteorologische Messmasten, bisher mit einer temporären Genehmigung. Zwei weitere gleich hohe sind geplant. Sie zeichnen zeitlich hoch aufgelöst Geschwindigkeit und Richtung des Windes, Lufttemperatur, Luftfeuchtigkeit und Luftdruck auf. Laseroptische Messsysteme erfassen die An- und Nachlaufströmung der geplanten Windenergieanlagen. Zwischen jeweils zwei Messmasten sollen in den kommenden Monaten die Windenergieanlagen errichtet werden. Jede einzelne von ihnen hat eine installierte Leistung von 750 kW. Der Rotordurchmesser beträgt 54 m, die Gesamthöhe 100 m. Die Windkraftanlagen sind vom Fundament bis zu den Rotorblättern umfangreich mit Mess-Sensoren ausgestattet.

Das Testfeld ist als Plattform konzipiert, mit der die Aktivitäten von Forschung und Industrie unterstützt werden. Beispielsweise können Hersteller von Windenergieanlagen und Zulieferer dort technologische Verbesserungen entwickeln und untersuchen lassen: Die Forscher statten dafür die eine Windenergieanlage mit den jeweiligen Neuentwicklungen aus, die andere bleibt unverändert und dient als Referenz. So kann die Wirksamkeit durch den direkten Vergleich unmittelbar nachgewiesen werden. Wichtig ist dabei: Die Wissenschaftler haben uneingeschränkten Zugriff auf die gesamte Regelungstechnik und die Konstruktionsdaten der Anlagen. So können sie die Auswirkungen verbesserter Anlagenkomponenten wie Rotoren genauestens analysieren. Die Untersuchungsergebnisse sollen in weiteren Schritten gemeinsam mit der Industrie auf kommerzielle Großanlagen an anderen Standorten übertragen werden. Darüber hinaus werden sehr viele der auf dem Testfeld erfassten Daten dem Open Source Gedanken der Wissenschaft folgend aufbereitet und zur Verfügung gestellt.

Teil des Vorhabens ist außerdem die Entwicklung einer neuartigen Betriebsführung, mit der die Anlagen intelligent und wesentlich präziser als bislang auf sich ändernde Windverhältnisse reagieren können. Zum Einsatz kommt auch künstliche Intelligenz: Damit werden Einspeiseprognosen verbessert und Modelle für die Einbindung von Energiespeichersystemen optimiert.

Einbeziehen der Anwohner ist wichtig

Hinzu kommt, dass der Ausbau der Windenergie nur zusammen mit den Anwohnern im Umfeld von Windenergieanlagen gelingen kann. Das jetzt genehmigte Forschungstestfeld WINSENT bietet samt seiner umfangreichen Ausstattung auch die Gelegenheit für eine einzigartige interdisziplinäre Anwohnerbegleitforschung im Zuge eines weiteren Forschungsvorhabens „Inter-Wind“, bei dem auch benachbarte, kommerzielle Windparks mituntersucht und eingebunden werden.

Ökologische Begleitforschung für gleichzeitigen Natur- und Klimaschutz

Das Windenergietestfeld dient darüber hinaus der Naturschutzbegleitforschung. Mit ihr sollen der Einfluss von Windenergieanlagen auf Vögel und Fledermäuse genauer untersucht und Schutzmaßnahmen entwickelt werden. Am Testfeldstandort erfassen bereits ein Radargerät sowie mehrere Kamerasysteme tagsüber und nachts die Bewegungen von Vögeln, Fledermäusen und großen Insekten. Das ZSW entwickelt einen sogenannten „Bird Recorder“, ein kameragestütztes System, das mithilfe von künstlicher Intelligenz geschützte Vogelarten erkennen und Kollisionsvermeidungsmaßnahmen bis zum Stopp der Rotoren auslösen soll. Ziel ist die Entwicklung eines preiswerten, robusten und sehr zuverlässigen Systems, das flächendeckend in Windparks eingesetzt und auch nachgerüstet werden kann. Damit sollen immer öfter auferlegte pauschale Abschaltzeiten zum Schutz von Greifvögeln vermieden werden können, sodass mehr kohlendioxidfreier Strom produziert werden kann. Die Begleitforschung wird gegenüber den ursprünglichen Planungen ausgeweitet. Dazu arbeitet das ZSW mit renommierten Partnern aus dem In- und Ausland wie der Schweizerischen Vogelwarte oder dem FrInaT Freiburger Institut für angewandte Tierökologie GmbH zusammen. Unter anderem sollen weitere Ansätze für Schutzmaßnahmen untersucht werden. Dazu findet auch ein intensiver Austausch auf nationaler ebenso wie auf internationaler Ebene sowohl mit der Forschung als auch mit Naturschutzverbänden oder dem KNF Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende gGmbH, Berlin, statt. Das BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit, Berlin, und das BfN Bundesamt für Naturschutz, Bonn, finanzieren die Begleitforschung mit insgesamt 2,95 Mio. Euro.

Das BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin, fördert das Testfeld-Projekt mit dem Namen „Wind Science and Engineering in Complex Terrain“, kurz WINSENT, mit rund 10,4 Mio.Euro. Das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, Stuttgart, unterstützt das Vorhaben in dem Projekt WINSENT-BW zusätzlich mit 1,2 Mio. Euro.