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Gesetz ohne Wirkung: Erneut riesiger Unterschied zwischen Schienen- und Straßennetzausbau

In der Regel werden neue oder ausgebaute Schienenstrecken zum jährlichen Fahrplanwechsel am zweiten Dezemberwochenende in Betrieb genommen. Die Eisenbahnunternehmen scharren mit den Füßen, um die wachsende Nachfrage im Personen- wie im Güterverkehr auf neuen Gleisen und mit elektrisch betriebenen und darum klimafreundlichen Zügen zu stillen. Zum wiederholten Mal wächst das Netz aber auch 2022 nur minimal, obwohl Bundestag und Bundesrat der DB Deutsche Bahn AG und dem BMDV Bundesministerium für Digitales und Verkehr, beide Berlin, ein dickes Auftragsbuch gegeben haben.

In diesem Jahr, so klagt der Vorstandsvorsitzende der GÜTERBAHNEN NEE Netzwerk Europäischer Eisenbahnen e. V., Berlin, Ludolf Kerkeling, bekommen wir bei wohlwollender Rechnung 2,4 Promille Schienennetz-Kapazität durch neue Schienen und Oberleitungen hinzu. Das ist fast nichts. In diesem Tempo können wir keine leistungsfähigere Schiene erreichen, die bei den Klimaschutzzielen hilft. Das Bundesschienenwegeausbaugesetz wird offenbar nicht wirklich ernst genommen.

Lediglich eine größere und drei kleinere Maßnahme mit insgesamt 74,4 km Streckenlänge bringen das Bundesverkehrsministerium und die DB Netz AG 2022 neu in Verkehr. Im 33.400 km langen und immer stärker überlasteten Schienennetz ist das für L. Kerkeling aber, als würde man einen Hausbrand mit einem Eimer Wasser löschen wollen.

Die Infrastrukturkrise bei der Eisenbahn spitzt sich immer weiter zu. Während jedes Jahr rund 10.000 km neue Straßen in Deutschland gebaut werden, sind neu in Betrieb genommene Schienenstrecken kaum häufiger als eine Sonnenfinsternis. In den rund 29 Jahren seit der Bahnreform 1994 wurden in Deutschland insgesamt keine 1.800 km Schienenstrecke neu in Betrieb genommen oder wesentlich ausgebaut. Doch zusätzliche Gleise für überlastete Verbindungen sind unverzichtbar, um die gesetzlichen Klimaziele im Verkehr erreichen zu können. Der GÜTERBAHNEN-Chef stellte klar, dass Digitalisierung im Betrieb, kleine und mittlere Maßnahmen im bestehenden Netz sowie eine effizientere Bestandnetzsanierung parallel realisiert werden müssen. So könnte die zusätzliche Nachfrage wenigstens annähernd befriedigt werden.

Bisher ist für L. Kerkeling allenfalls schemenhaft erkennbar, ob und wie die Ampel-Koalition und DB Netz mehr als einen Gang zulegen wollen, um das Prinzip des Deutschlandtaktes und den mit richtigen Vorhaben vom Bundestag picke-packe-vollgefüllten Anhang des Bundesschienenwegeausbaugesetzes umzusetzen: nämlich das Schienennetz gezielt so auszubauen, dass ein vorgesehener Zielfahrplan gefahren werden kann. Für ihn ist Priorität für die Schiene in der Verkehrsplanung der Schlüssel – größere personelle Kapazitäten bei Planung, Gerichten und der Bauwirtschaft, belastbar wachsende Budgets des Bundes samt Infrastrukturfonds und eine offensive Werbung für den Ausbau hält er für notwendig.

Bei den vier Projekten im Jahr 2022 handelt es sich um die abschließende Elektrifizierung nach Wilhelmshaven (6,3 km) zweimal zwei zusätzliche Gleise zwischen Erfurt und Nürnberg (zusammen 8,4 km) sowie die Strecke Wendlingen-Ulm, die mit 59,7 km Länge rund 70 % der für Ende 2025 komplett zur Inbetriebnahme vorgesehenen Schnellfahrstrecke von Stuttgart nach Ulm ausmacht. Diese Strecke wurde vor über 30 Jahren ersonnen und ermöglicht zunächst bei planmäßigen Fahrten eine 15-minütige Reduzierung der ICE-Fahrzeit. Für den Güterverkehr ist die steile Strecke über die Schwäbische Alb aber unbrauchbar. Der soll zwar von freiwerdenden Kapazitäten auf der bisherigen Strecke durch das Filstal profitieren. Am steilen Albanstieg, der den Güterzugverkehr auch dort behindert, haben Bund und DB Netz allerdings gar nichts geändert.

Laut GÜTERBAHNEN-Geschäftsführer Peter Westenberger findet nur der Ausbau bei Fürth in einem der offiziell als überlastet ausgewiesenen Streckenabschnitte statt und lediglich die rund 6 km Oberleitung für die Hafenanbindung bei Wilhelmshaven hat einen expliziten Nutzen für den Güterverkehr. Es freut ihn, dass der Jade-Weser-Port jetzt durchgängig, also nördlich von Oldenburg, mit elektrischen Lokomotiven erreichbar ist. Dass dies allerdings erst zehn Jahre nach der Eröffnung Realität wird und im Terminal selbst immer noch Diesel-Rangierloks eingesetzt werden müssen, zeigt schon auf den ersten Blick einige der Schwächen der Ausbauplanung des deutschen Schienennetzes. Stop-and-Go bei der Finanzierung, die Fixierung auf ICE-Strecken, späte Konzeptänderungen, regionalpolitische anstelle verkehrlicher Kriterien, eine Unterbewertung des Güterverkehrs bei Kosten-Nutzen-Rechnungen und die unzureichenden Planungskapazitäten sind nur einige der Punkte, weswegen Deutschland im Unterschied zu seinen Nachbarn in Europa beim Schienenausbau praktisch nur mit Ankündigungen arbeitet.